Wie Unternehmen zur Klimaneutralität beitragen können
Vom KMU zum „KNU“
Unternehmen sollten daran bewertet werden, wieviel sie dazu betragen, wie wir insgesamt klimaneutral werden. Wer durch umgesetzte Energieeffizienz-Maßnahmen erzielte Einsparungen in einen „Green Fonds“ einleitet, kann daraus weitere Investitionen in die Klimaneutralität tätigen – und auch externe Emissionsabgaben finanzieren.
» Prof. Dr.-Ing. Jens Hesselbach, Fachgebietsleiter Umweltgerechte Produkte und Prozesse (upp), Universität Kassel
Das Ziel ist ambitioniert: Bis zum Jahr 2050 will Europa zum ersten klima- neutralen Kontinent werden. Um dieses langfristige Ziel zu erreichen, genügt es nicht, die Stromerzeugung auf erneuer- bare Energien umzustellen. Es gilt, auch die Mobilität, die Wärmeerzeugung sowie industrielle Prozesse CO2-neutral zu or- ganisieren.
Da die CO2-Bepreisung in den nächsten Jahren steigen wird, haben Unternehmen auch ein wirtschaftliches Interesse an einer Reduktion der Emissionen. Dies bedeutet eine echte Herausforderung – nicht nur für Betriebe mit einem hohen Energiebedarf.
Fakt ist: Von zehn Unternehmen stre- ben heute sechs an, klimaneutral zu wer- den. Klingt einfacher, als es ist. Denn viele fragen sich, wie sie dabei vorgehen sollen. Allzu leicht erliegt ein Unternehmen noch immer dem verführerischen Gedanken, sich über rein bilanziellen Ökostrom und günstige CO2-Zertifikate aus Entwick- lungsländern „freizukaufen“. Kritiker ver- buchen dieses Vorgehen unter der Rubrik Green Washing. Manchmal zu Unrecht! Was daran allerdings stimmt: Green Was- hing kostet immer Geld.
Wer fünf Kolleginnen oder Kollegen fragt, was der Begriff Klimaneutralität bedeutet, erhält vermutlich fünf verschie- Bild: only_kim/stock.adobe.com dene Antworten. Denn bislang existiert noch keine allgemeingültige Definition. Das soll sich jedoch bald ändern. Unter dem Stichwort „Carbon Neutrality“ arbei- tet das Normungsvorhaben ISO 14068 aktuell an einer einheitlichen Festlegung. Bis zur Verabschiedung dürften wir uns, vorsichtig geschätzt, jedoch noch ein bis zwei Jahre gedulden müssen.
Kein Unternehmen ist klimaneutral
Um einem möglichen Missverständnis vor zubeugen: Unternehmen sind nicht klimaneutral, sie tragen jedoch zur Klima- neutralität bei. Experten sind sich einig, dass Klimaneutralität nicht durch einzel- ne Akteure, sondern nur im Kollektiv er- reicht werden kann.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Fra- ge, wo die Bilanzgrenze zu ziehen ist. Werden nur die direkten Emissionen des eigenen Unternehmen betrachtet (Scope 1) – oder auch die Vorketten (Scope 3)? Rohstoffe und Produkte bringen meistens bereits einen CO2-Rucksack mit. Dort für Effizienz zu sorgen, ist in der Regel äu- ßerst schwierig.
Bei näherer Betrachtung stellt man dann fest, dass die einen Unternehmen viel dazu beitragen, dass wir insgesamt klimaneutral werden – andere hingegen weniger. Genau daran sollte man ein Un- ternehmen bewerten. Auf diese Weise – in Richtung Politik adressiert – würde viel Druck aus dem Kessel genommen werden. Und man würde endlich damit aufhören, schnell noch „grünen Strom“ zu kaufen. Gelänge es, diesen Teufelskreis zu durch- brechen, würden Unternehmen in ihre eigenen Maßnahmen investieren – und keine CO2-Zertifikat für Solarkocher in Uganda kaufen und in Sackgassen rennen. Spätestens jetzt kommen in den Unter- nehmen dann die ersten Einwände. Der Klassiker: die Liquiditätsfrage. Die Investi- tion in eine PV-Anlage oder ein Windrad sei zu teuer und rechne sich nicht. Stimmt! Sie genügen den kurzfristigen Anforderungen hinsichtlich einer Amorti- sationszeit von zwei oder drei Jahren nicht, mit denen Firmen üblicherweise rechnen, wobei die jährliche Verzinsung in der Regel zwischen 6 und 8 % liegt.
In Klimaneutralität investieren – aber richtig
Fakt ist: Der Strom aus der eigenen PV- Anlage ist billiger als der, der aus dem Netz bezogen wird. Und Einsparungen las- sen sich durch die Realisierung von Ener- gieeffizienz-Maßnahmen erzielen und da- durch, dass keine CO2-Zertifikate und kein Öko-Strom gekauft wird. Fließen all diese Minderkosten in den Green Fonds ein, ge- lingt es, auf integrale Weise in verschie- dene Maßnahmen investieren zu können. Ähnlich wie bei einem Hauskauf muss ein temporäres Problem gelöst werden: Es ist eine Anfangsinvestition nötig, die sich nicht aus Rückflüssen deckt. Zwei Mög- lichkeiten stehen zur Verfügung: Das Un- ternehmen leiht sich Geld von der Bank. Der Zeitpunkt ist günstig, da viele Banken Green Invests suchen. Oder das Unterneh- men füllt den Fonds initial aus Eigenkapi- tal und/oder einem internen CO2-Preis, bei dem es sich im Prinzip um eine ver- steckte Anfangsfinanzierung handelt (die am Ende des Tages wieder zurückbezahlt werden muss).
In einem zweiten Schritt gelangen dann Einnahmen in den Fonds, die sich aus interner CO2-Bepreisung, nicht ge- kauften Herkunftsnachweisen oder Labels sowie nicht getätigten Kompensations- maßnahmen speisen.
Mit dem zur Verfügung stehenden Geld aus dem Green Fonds lassen sich dann In- vestitionen tätigen, beispielsweise in Effi- zienzmaßnahmen, Energieträgerwechsel, Energieeffizienz-Anlagen oder Carbon- Insetting. (Unter Insetting versteht man die Kompensation von Emissionen eines Unternehmens in einem Kompensations- projekt innerhalb der eigenen Wertschöp- fungskette.) Auf diese Weise lassen sich aus den Einnahmen und erzielten Einspa- rungen externe Emissionsabgaben finan- zieren (siehe Grafik). Um eigene Investi- tionen in Sachen Klimaneutralität tätigen zu können, empfiehlt es sich, einen Green Fonds langfristig anzulegen, lies: für einen Zeithorizont bis 2035 oder 2040.